Stellungnahmen des Bündnisses

Stellungnahmen des Bündnisses

Stellungnahmen, Offene Briefe, Unterstützungsschreiben

  • Unterstützungsschreiben zur Stellungnahme von Coalition Against Trafficking in Women (CATW) und Coalition for the Abolition of Prostitution (CAP International)

    Das Bündnis Nordisches Modell steht für ein Umdenken in der deutschen Prostitutionspolitik, weil es die Ziele des Prostitutionsgesetz von 2002 für gescheitert und das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 für verfehlt hält. Daher schließt sich Bündnis Nordisches Modell der Stellungnahme von Coalition Against Trafficking in Women (CATW) und Coalition for the Abolition of Prostitution (CAP Inter-national) vom 31. März 2022 an.


    Warum Deutschland für Belgien kein Vorbild sein darf: Der belgische Gesetzgeber hat sich gegen den Schutz von Prostituierten und für eine rechtliche Regelung zu Gunsten der Profiteure der Sexindustrie wie Freier, Zuhälter und Menschenhändler entschieden. Die neuen belgischen Regelungen begünstigen den Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung.


    Belgien ignoriert seine internationalen rechtlichen Verpflichtungen, wie in der Stellungnahme nachzulesen ist.


    Belgien schließt sich einer Prostitutionspolitik an, die in Deutschland nachweislich gescheitert ist: Die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland hat bereits 2007 eingeräumt, dass die Zielsetzungen des Prostitutionsgesetzes nur zu einem begrenzten Teil erreicht worden sind (Quelle:  bericht-der-br-zum-prostg-broschuere-deutsch-data.pdf (bmfsfj.de) S. 80). Prostituierte sind selten sozial- und krankenversichert und durch die Liberalisierung hat die organisierte Kriminalität zu- statt abgenommen. Deutschland ist zum Bordell Europas (Quelle: DER SPIEGEL 22/2013 - Inhaltsverzeichnis Titelbild Ausgabe Nr. 22 vom 26.05.20213)  geworden. „Die Ausstiegsmöglichkeiten aus der Prostitution sind durch das Prostitutionsgesetz nicht wirksam verbessert worden.“ (Quelle bericht-der-br-zum-prostg-broschuere-deutsch-data.pdf (bmfsfj.de) S. 80) Ebenfalls gescheitert ist das Prostituiertenschutzgesetz: Ende 2020 waren rund 24.900 Prostituierte bei Behörden angemeldet.  Somit sind ¾ von geschätzten 200.000 Prostituierten in Deutschland in der Illegalität bzw. im sogenannten Dunkelfeld tätig. 


    Prostitution und Menschenhandel lassen sich nicht voneinander trennen: Die Gesetzeslage in Deutschland geht von einer „Freiwilligkeit“ der Prostituierten aus. Freier, die durch ihre Nachfrage überhaupt erst für das Angebot sorgen, können nicht differenzieren, ob sich die Prostituierte freiwillig prostituiert oder sich prostituieren muss und somit Zwangsprostituierte bzw. Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung ist. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellte bereits 2007 fest: „Prostitution ist überwiegend eine physisch und psychisch belastende, risikoreiche und auch gefährliche Tätigkeit, die nicht selten von besonders vulnerablen Gruppen ausgeübt wird.“ (Quelle bericht-der-br-zum-prostg-broschuere-deutsch-data.pdf (bmfsfj.de) S. 10). 


    Zwang und Abhängigkeit, Armut und Perspektivlosigkeit sowie Ausnutzen von Notlagen durch Profiteure bedeuten, dass das System Prostitution auf Gewalt und Ungleichheit aufgebaut ist. Die Liberalisierung führt zu einer Verharmlosung dieses Gewaltsystems. Deutschland, Österreich, Schweiz und die Niederlande sind zu Zielländern für Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung geworden. Diese Länder müssen sich ihrer Verantwortung stellen. Nun auch Belgien.


    Lesen Sie hier die Pressemitteilung von Coalition Against Trafficking in Women (CATW):


    Belgien ändert sein Strafgesetzbuch nach dem Vorbild des katastrophalen deutschen Prostitutionsgesetzes von 2002-2017, um Freier, Zuhälterei und Bordellbetreiber weiter zu entkriminalisieren


    NEW YORK und PARIS, 31. März 2022 


    Am 18. März 2022 verabschiedete das belgische Parlament auf der Grundlage eines von Bundesjustizminister Vincent Van Quickenborne vorgelegten Vorschlags Änderungen des belgischen Strafgesetzbuchs in einer Reihe von "sexuellen Angelegenheiten", unter anderem im Zusammenhang mit der Prostitution. Während Belgien das System der Prostitution bereits 1995 legalisiert hatte, werden durch die Änderungen der Artikel 380 bis 382 des Strafgesetzbuches Zuhälterei und Bordellbesitz weiter entkriminalisiert, außer in Fällen von "ungewöhnlich" hohen Gewinnen.


    Andere Änderungen sehen vor, dass die Prostitution von Minderjährigen zwischen 16 und 18 Jahren erlaubt ist, wenn entweder die Bordellbetreiber oder die Sexkäufer geltend machen können, dass ihnen das Alter des Kindes nicht bekannt war. Nach internationalem Recht gilt jede Person unter 18 Jahren, die in der Prostitution tätig ist, als Opfer des Kinderhandels. Nach den belgischen Änderungen müssen diese Kinder beweisen, dass ihre Zuhälter oder "Kunden" wussten, dass sie minderjährig sind - eine nahezu unmöglich zu erfüllende Bedingung.


    Zu einer Zeit, in der viele europäische Länder darum kämpfen, die sexuelle Ausbeutung im Internet einzudämmen, erlauben die belgischen Gesetzesänderungen die Werbung für Prostitution im Internet, was den Sexhandels durch bestimmte Websites erleichtert.

    Während sich die Entkriminalisierung des Sexkaufs durch die Änderungen nicht ändert, werden Freier wahrscheinlich von einem expandierten und übersättigten belgischen Prostitutionsmarkt profitieren, online und offline, mit niedrigeren Preisen. Die im Sexgewerbe gezielt betriebene Bigotterie, einschließlich der Kategorisierung von Menschen nach Geschlecht, Körpergröße, ‚race‘, ethnischer Zugehörigkeit, Schwangerschaftsstatus und Geschlechterstereotypen, ist ein entscheidenden Faktor in der Vermarktung für Sexkäufer".


    Im Gegensatz zu einigen Behauptungen, dass diese Änderungen einen "historischen Schritt" darstellen, ist Belgien nicht das erste Land in Europa, das die Zuhälterei entkriminalisiert und den Sexhandel legalisiert. Das belgische Strafgesetzbuch spiegelt nun das deutsche Prostitutionsgesetz von 2002-2017 wider. Der rechtliche Rahmen der Legalisierung und Entkriminalisierung des Sexgewerbes lässt keine eindeutige Unterscheidung voneinander zu.


    Sowohl das belgische als auch das deutsche Prostitutionsgesetz sehen das Sexgewerbe als legitimes Gewerbe an, definieren die Ausgebeuteten als "Dienstleister" oder "Selbstständige" und stufen Drittausbeuter als "Arbeitgeber" oder seriöse Unternehmer ein. Sowohl in Belgien als auch in Deutschland wird Prostitution als Berufswahl dargestellt, wobei der Zugang zu staatlichen Leistungen in Aussicht gestellt wird und nur "ethische" Bordellbetreiber zugelassen sind. Infolge dieser Entkriminalisierung wurde Deutschland zum „Bordell Europas", wie es die Medien titulieren, und international dafür bekannt, dass es der Organisierten Kriminalität und der systematischen Entmenschlichung und sexuellen Ausbeutung von vulnerablen Personen Vorschub leistet. Mit seinen neuen Änderungen wird Belgien bald dem deutschen Weg folgen.


    Wie in Deutschland werden Menschen in der Prostitution, in Belgien rechtlich anerkannte Arbeitsverträge abschließen können und sich offiziell als "Sexarbeitende" registrieren lassen können. Während sich jedoch in Deutschland schätzungsweise 200.000-400.000 Menschen, fast ausschließlich Frauen, in der Prostitution befinden, haben nur 1 % einen Arbeitsvertrag in einem Bordell oder einer Escort-Agentur abgeschlossen. Eine staatliche Untersuchung im Jahr 2018 konnte nur 76 Personen identifizieren, die als "Prostituierte" registriert waren, um Zugang zur Sozialversicherung zu erhalten. Zu den Gründen für diese Zurückhaltung gehören das der Prostitution anhaftende Stigma und die Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der Frauen in deutschen Bordellen undokumentierte ausländische Frauen, Frauen aus Osteuropa und dem globalen Süden sind. Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Mutterschaftsurlaub, Renten und andere Leistungen bleiben hypothetisch.


    Dieses Muster wird sich zweifellos in Belgien wiederholen. Bereits im Jahr 2008 waren schätzungsweise 60 % der Frauen im belgischen Sexgewerbe Ausländerinnen und Frauen ohne Papiere. Da diese Zahl in den in den letzten Jahren in den Nachbarländern gestiegen ist, ist der Anteil heute wahrscheinlich noch höher und wird mit diesen Änderungen exponentiell ansteigen.


    Deutschland hat das katastrophale Scheitern seines Prostitutionsgesetzes eingeräumt: 80 % der deutschen Bevölkerung war der Meinung, dass das Gesetz seine Ziele nicht erreicht habe und 86 % assoziierten Prostitution mit unkontrollierter Ausbeutung. Der Staat reformierte das Gesetz 2017 leicht, um einige Vorschriften zu verschärfen, u. a. für die Eröffnung und den Betrieb von Bordellen, da festgestellt wurde, dass sich Bordellbesitzer zwar als "Vermieter" registrieren lassen, in der Praxis aber den Frauen unmenschliche Praktiken aufzwingen. Während Belgien sich verspricht mögliche Fälle von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in legalen Bordellen aufdecken zu können, musste Deutschland bereits festgestellt, dass diese Ermittlungen kostspielig sind und jahrelange Bemühungen bedürfen. Diese und weitere Gründe führen zu sehr wenigen Strafverfolgungen in diesem Bereich, auch weil eine mangelnde Bereitschaft der Opfer vorliegt, auszusagen.


    "In einer Zeit, in der Millionen von Menschen auf der ganzen Welt aufgrund von Umweltkatastrophen, wirtschaftlicher Ungleichheit und Kriegen, auch in der Ukraine, extrem vulnerabel sind, ist es schockierend, dass Belgien nun dieses Geschenk an Menschenhändler und Bordellbetreibende macht", sagte Taina Bien-Aimé, Geschäftsführerin der Coalition Against Trafficking in Women (CATW).  Mit diesen Änderungen wird Belgien den Sexhandel weiter ausweiten, Sexkäufer stärken und seine Stellung als kolonisierende Macht, die arme Frauen und Women of color für den eigenen Profit sexuell ausbeutet, sichern. Auch das wäre keine 'historische Neuheit'.

    Eine Reihe von Ländern erkennt Prostitution als ein ausbeuterisches System geschlechtsspezifischer Gewalt und Diskriminierung an. Diese haben deshalb Gesetze erlassen, die nur die prostituierten Personen entkriminalisieren und Hilfsangebote bereitstellen, während Freier und andere Profiteure für den Schaden, den sie verursachen, zur Rechenschaft gezogen werden. Zu den Ländern mit Nordischem oder abolitionistischem Modell gehören Schweden, Island, Norwegen, Nordirland, Kanada, Frankreich, Irland und Israel.


    Die eigentliche historische Bedeutung dieser Änderungen besteht darin, dass sich Belgien weiter von seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen und seinem Engagement für die Wahrung der Menschenrechte entfernt. Die Entkriminalisierung der Zuhälterei und das Versäumnis, die Nachfrage zu bekämpfen, welche sexuelle Ausbeutung begünstigt, verstößt gegen die UN-Konvention zur Unterbindung des Menschenhandels und der Ausnutzung der Prostitution anderer von 1949, das Palermo-Protokoll, das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und das Übereinkommen über die Rechte des Kindes.


    Belgien verstößt außerdem gegen die Allgemeine Empfehlung Nr. 38 des CEDAW-Ausschusses aus dem Jahr 2020 zum Frauenhandel im Kontext der globalen Migration, die europäische Resolution von 2014 über sexuelle Ausbeutung und Prostitution und die Folgen für die Gleichstellung von Frauen und Männern und andere europäische Beschlüsse, in denen die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, Gesetze und politische Maßnahmen zu erlassen, die Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, geschlechtsspezifische Gewalt und Diskriminierung verhindern und die Opfer und Überlebenden dieser Menschenrechtsverletzungen schützen. Das Europäische Parlament empfiehlt allen europäischen Ländern das Nordische Modell umzusetzen.


    "Wenn Prostitution eine 'Wahl' ist, dann ist es eine Wahl, die systematisch von Frauen getroffen wird, die keine Wahl haben. Ob durch physischen oder sozioökonomischen Zwang, der sexuelle Akt in der Prostitution ist immer erzwungen. Er ist das genaue Gegenteil von sexueller Freiheit. Die Wiederholung sexueller Handlungen ohne körperliches Verlangen, die als Ausnutzung der Verletzlichkeit erlebt wird, stellt an sich schon sexuelle Gewalt dar", sagte Jonathan Machler, Geschäftsführer von CAP International. "Die in diesem Gesetzentwurf vorgenommene Trennung ist völlig losgelöst von der den Realitäten von Prostitution und Menschenhandel in Belgien. Dieses Gesetz ist ein Verrat an allen Frauen in Notlagen, an Migrantinnen und an geflüchteten Frauen, einschließlich der ukrainischen Frauen, die derzeit vor dem Krieg fliehen, und die, weil sie von der belgischen Regierung im Stich gelassen werden, dem Zugriff der Zuhälternetze noch stärker ausgesetzt sind."



    Über die Coalition Against Trafficking in Women (CATW)

    CATW ist eine der ältesten internationalen Organisationen, die sich für die Beendigung des Menschenhandels und der sexuellen Ausbeutung von Frauen und Mädchen einsetzt. 

    Mit einem Ansatz, der auf den Rechten der Frauen und den Menschenrechtsprinzipien beruht, setzt sich CATW für strenge Gesetze und Strategien ein, sensibilisiert die Öffentlichkeit und unterstützt Überlebende in der Öffentlichkeitsarbeit. Weitere Informationen finden Sie unter https://catwinternational.org/



    Über die Coalition for the Abolition of Prostitution (CAP International)

    CAP International ist eine Bewegung, die sich aus Basis- und Überlebenden-Organisationen zusammensetzt. Die Organisationen verfolgen ein gemeinsames Ziel: die Abschaffung der Prostitution und des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Heute umfasst die Koalition 35 Organisationen in 27 Ländern. Weitere Informationen finden Sie unter 

    http://www.cap-international.org/




    Quellenangabe im Original: https://catwinternational.org/press/belgium-joins-germany-in-creating-legal-haven-for-sex-trade/


    Das Bündnis Nordisches Modell übernimmt keine Haftung für die Übersetzung.


  • Stellungnahme zur Anhörung des Bayerischen Landtags zur Situation der Prostituierten in Bayern am 12.05.2022

    Stellungnahme des Bündnisses Nordisches Modell

    zur Anhörung über die „Situation der Prostituierten in Bayern und zur Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes in Bayern“


    1. Vorbemerkung zur Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) in Bayern


    Wir begrüßen es, dass sich der Bayrische Landtag mit der aktuellen Situation der Prostituierten in Bayern auseinandersetzt und der Frage nachgeht, ob die aktuelle Gesetzeslage Prostituierte ausreichend schützt und Organisierte Kriminalität, Menschenhandel und Zwangsprostitution eindämmt oder gar verhindert. Es gilt vorwegzuschicken, dass sich die grundlegende Situation der Prostituierten in Bayern kaum von denen in anderen Bundesländern unterscheidet. Das System Prostitution ist grenzüberschreitend, d.h. wie das Prostituiertenschutzgesetz in Bayern umgesetzt wird, ändert nichts an den strukturellen Gewaltverhältnissen, die dem System Prostitution inhärent sind. 


    Unsere bundesweit aktiven BündnispartnerInnen machen in ihrer Arbeit sehr häufig die Erfahrung, dass Prostituierte selten für längere Zeit, also über mehrere Wochen, Monate oder gar Jahre, in einer Prostitutionsstätte bzw. am selben Ort tätig sind. Insbesondere dann nicht, wenn sie Opfer von Menschenhandel und Organisierter Kriminalität sind. So ist es üblich, dass sie alle zwei bis drei Wochen in eine andere Stadt – bundeslandübergreifend – gebracht werden. Dafür gibt es zwei Gründe: Um wettbewerbsfähig zu sein bzw. zu bleiben, müssen Prostitutionsstätten den Freiern immer wieder „neue“ Prostituierte („Frischfleisch“, wie die Frauen in Freierforen häufig bezeichnet werden) anbieten können. ZuhälterInnen, Loverboys, Bordellbetreibende und Menschenhändler möchten außerdem strikt verhindern, dass sich Prostituierte an ihre Umgebung gewöhnen, tiefere soziale Kontakte und Beziehungen eingehen oder sich für Hilfs- und Ausstiegsangebote von Beratungsstellen interessieren. Das erhält ihre Abhängigkeit und Orientierungslosigkeit in einem meist fremden Land. Integration und der Erwerb von Sprachkenntnissen werden nahezu unmöglich. Aber auch Prostituierte ohne direkte/n ZuhälterIn ziehen häufig von einer Stadt und einem Bundesland ins nächste. Das sind beispielsweise diejenigen, die sich tageweise in Bordelle, Laufhäuser oder Wohnungsbordelle mit einer Miete von ca. 80 bis 180 Euro/Tag einmieten. Gründe sind u.a. die Akquirierung neuer Freier, Wohnungslosigkeit, Instabilität sozialer Beziehungen, Rastlosigkeit sowie Flucht vor Behörden oder (früherer) ZuhälterInnen. 


    2. Auswirkungen des Prostitutionsgesetz (ProstG) und ProstSchG in Bayern


    Sowohl das im Jahr 2001 verabschiedete Prostitutionsgesetz (ProstG) als auch das 2016 erlassene Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) schützt Prostituierte bis dato nicht ausreichend vor Gewalt und Ausbeutung. Das zeigt u.a. der Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) aus dem Jahr 2007 . Prostituierte sind so gut wie nie sozialversichert und durch die Liberalisierung hat die Organisierte Kriminalität zu- statt abgenommen! „Die Ausstiegsmöglichkeiten aus der Prostitution sind durch das Prostitutionsgesetz nicht erkennbar ver-bessert worden.“ (BMFSFJ 2007: 80) . Das einige Jahre später erlassene Prostituiertenschutzgesetz hat kaum zu einer Verbesserung beigetragen: 2020 waren bundesweit rund 24.900 Prostituierte bei Behörden angemeldet . Ca. ¾ von geschätzten 200.000 Prostituierten sind daher in der Illegalität tätig. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die unangemeldeten Prostituierten unsichtbar sind oder sich im „Untergrund“ bewegen. Auch diese Frauen finden sich in Prostitutionsstätten oder auf bekannten Straßenstrichabschnitten wieder. Es ist durch das ProstSchG nicht gelungen, das tatsächliche Ausmaß der Prostitution in Deutschland zuverlässig abzubilden. Eine Entstigmatisierung der Prostituierten, ein Ziel beider Gesetze, hat nicht stattgefunden, dafür aber eine zunehmende Entstigmatisierung des Freiertums. Vulnerable Menschen bzw. deren Körper für die sexuelle Benutzung wie einen Kaufgegen-stand legal erwerben zu können, hat die Grenzen der Unantastbarkeit der Menschenwürde in eine äußerst bedenkliche Richtung verschoben. Der Gesetzgeber setzt die Menschenwürde und Gleich-berechtigung aufs Spiel. Was der Gesetzgeber ursprünglich beabsichtigt hatte, ist ihm in 20 Jahren nicht gelungen. Folgende Arbeitsbedingungen und Strukturen sind durch Regelung des ProstG und ProstSchG in Bayern und deutschlandweit nach Erfahrungen und Kenntnissen der BündnispartnerInnen des Bündnisses Nordisches Modell zum Regelfall geworden: 


    • Keine wirksamen Arbeitsschutzregelungen zu Arbeitszeit, Arbeitssicherheit, Alkohol- und Drogenkonsum um die Prostitution aushalten zu können, theoretisch ist Prostitution 24 Stunden am Tag/sieben Tage die Woche möglich, 
    • Kein transparentes Vergütungssystem: Die Prostituierten sind bei ihrer Preisgestaltung meist abhängig von den Vorgaben der Bordellbetreibenden, Straßenprostituierte von den Preisen der billigsten verfügbaren Prostituierten. Die Preisgestaltung in Wohnungsbordellen spielt sich komplett im Dunkelfeld ab und das ist der weit größte Teil der Prostitution.
    • Kleidungsvorschriften in Prostitutionsstätten sind gesetzlich erlaubt und werden auch umgesetzt (z.B. die Vorschrift, nackt arbeiten zu müssen),
    • Zunahme von gewalttätigeren Arten des Geschlechtsverkehrs (immer wieder die Anfragen nach „ohne Kondom“, würgen, kneifen, anal, oral, ins Gesicht spritzen, Blasen bis zum Würgen bzw. Erbrechen, Gesichtsdusche, Fäkalien genannt Kaviar und Natursekt, Faust etc.),
    • Ausbeutung in Bordellen durch sehr hohe Zimmermieten, z.B. 150 Euro pro Tag. In der Regel bedeutet das, die ersten vier bis fünf Freier erbringen lediglich das Geld für die Zimmermiete,
    • das Bordellzimmer wird zum Wohn-/Schlafraum, weil die Frauen wohnungslos sind und die Bordelle im Haus alle notwendigen (überteuernde) Services anbieten (Verpflegung, Friseur, Verkauf von Hygieneartikel etc.). Im Monat zahlen Frauen für ein 14 bis 20 qm großes Zimmer ca. 4.500 €, in der Regel ohne Dusche und Toilette, 
    • Zunahme an Bordellen/Prostitutionsstätten, Bordellbetreiber sind jetzt „normale“ Geschäfts-leute,
    • Förderung von Ausbeutung und Menschenhandel, 
    • Normalisierung und Förderung von Prostitution durch das verharmlosende Wording „Sexkauf“ und sexueller, geschlechtsspezifischer Gewalt durch staatlich geförderte zur Verfügung gestellte Bordell-Infrastrukturangebote. In den Landesverordnungen der Bundesländer ist die Zulässigkeit der Prostitution in Gemeinden geregelt. So gilt in Bayern, dass Städte ab einer Einwohnerzahl ab 50.000 keinen Gesamtsperrbezirk für Prostitution veranlassen dürfen. Dies bedeutet, ab einer Einwohnerzahl von 50.000 müssen Städte die Einrichtung einer Prostitutionsinfrastruktur zulassen.
    • Bordelle und andere Prostitutionsstätten sind mitnichten sichere Orte. Es gibt keine „saubere Prostitution“. So geht etwa aus dem Lagebild Menschenhandel 2020 des Bundeskriminalamts hervor, dass 102 der erfassten Opfer von Menschenhandel in Bordellen sexuell ausgebeutet wurden. 

    3. Illegale Prostitution, Zwangsprostitution, Menschenhandel


    Prostitution und Menschenhandel lassen sich nicht voneinander trennen. Die Nachfrage auf Freierseite ist größer als die Anzahl an Frauen, Männern und trans Menschen, die freiwillig und selbstbestimmt der Prostitution nachgehen. Die gängigste Methode, um die Nachfrage ausreichend decken zu können, ist Zwangsprostitution und Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung. Häufig werden Frauen aus dem Ausland, v.a. Osteuropa, asiatischen oder afrikanischen Ländern, unter falschen Ver-sprechungen nach Deutschland gelockt oder verschleppt. Dabei ist die Loverboy-Methode ein gängiges Verfahren. Hier täuschen Männer jungen, oft minderjährigen Frauen bzw. Schülerinnen eine Liebesbeziehung vor und binden diese emotional an sich. Nach einiger Zeit machen sich die so genannten Loverboys (Zuhälter) diese emotionale Verbindung und Abhängigkeit zunutze, um die Frau der Prostitution zuzuführen.


    Gemäß §232a Abs. 6 StGB haben wir bereits die Kriminalisierung der Freier: 


    „(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, oder wer eine andere Person unter einundzwanzig Jahren veranlasst, […] 2. sexuelle Handlungen, durch die sie ausgebeutet wird, an oder vor dem Täter oder einer dritten Person vorzunehmen oder von dem Täter oder einer dritten Person an sich vornehmen zu lassen.“ 


    Ebenfalls strafrechtlich geahndet werden Zwangsprostitution und Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung. In allen drei Fällen gibt es so gut wie keine Verurteilungen. Hierzu verweisen wir auf eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen e.V., wonach nicht einmal die 2016 extra überarbeiteten Strafvorschriften gegen Menschenhandel in Deutschland Wirksamkeit entfalten. 

     

    Um Menschenhandel und Zwangsprostitution und die sonstigen Gefahren in der Prostitution erfolg-reich zu minimieren, die Bedingungen für die Frauen zu verbessen und sie zu entstigmatisieren, muss die Nachfrage durch die generelle Freier-Strafbarkeit bekämpft werden. Alle bisherigen Gesetze schützen Prostituierte weder vor Ausbeutung, struktureller Gewalt und Menschenhandel, noch stärken sie ihre gesundheitliche und soziale Absicherung. 


    4. Handlungsbedarfe und Zukunftsperspektiven


    Bayern – und ganz Deutschland – braucht ein sofortiges Umdenken in der Prostitutionspolitik, um der Mehrheit der Prostituierten eine reale Ausstiegschance und Schutz ihrer körperlichen und psychischen Unversehrtheit zu gewährleisten und um zukünftig junge Frauen und Mädchen vor dem Einstig in die Prostitution wirksam zu warnen. Als Bündnis Nordisches Modell schließen wir uns der völkerrechtlichen UN-Konvention zur Unterbindung des Menschenhandels und der Ausnutzung der Prostitution anderer von 1949 an.


    In der Präambel heißt es: „…[dass] die Prostitution und das sie begleitende Übel des Menschenhandels zum Zwecke der Prostitution mit der Würde und dem Wert der menschlichen Person unvereinbar sind.“  


    Wir fordern den Bayrischen Landtag, den deutschen Bundestag und die Bundesregierung dazu auf, dem Bericht des Europäischen Parlaments „über sexuelle Ausbeutung und Prostitution und deren Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter“ von 2014  in ihrer Gesetzgebung und Umsetzung ihrer Gesetze zu folgen. Darin wird u.a. festgestellt, „dass Prostitution eine Form der Sklaverei darstellt, die unvereinbar mit der Menschenwürde und den Grundrechten ist.“ 


    Wir fordern auf dieser Basis eine menschenrechtssensible Gesetzgebung nach dem Vorbild des sogenannten Nordischen Modells, das u.a. bereits in Schweden, Norwegen, Frankreich und Israel umgesetzt wird:


    1. Entkriminalisierung der prostituierten Frauen, Männern und trans Menschen


    2. Kriminalisierung und wirksame Strafverfolgung aller Profiteure: FreierInnen, ZuhälterInnen/Loverboys, Bordellbetreibende und Menschenhändlern,


    3. Ausbau von Ausstiegshilfen (bundesweit und flächendeckend), Schutz- und Unterstützungsangebote,


    4. Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit durch antisexistische Erziehung und Prävention mit dem Ziel eines gesellschaftlichen Umdenkens.


    Nach über 20 Jahren Nordischem Modell in Schweden hat die generelle Freier-Bestrafung die Nachfrage erheblich eingedämmt, Straßenprostitution wurde um 50 Prozent reduziert. Schweden hat sich extrem unattraktiv für Menschenhandel gemacht, außerdem führt die Kriminalisierung von Freiern zu einem signifikanten normativen Effekt: Mittlerweile befürworten in Schweden 79 Prozent der Frauen und 60 Prozent der Männer die Freier-Bestrafung. Dagegen findet in Dänemark, einem Land, in dem die Nachfrage nach Prostitution legal ist, die große Mehrheit der Männer, Prostitution sei in Ordnung.  Auch in Frankreich hat die Evaluation 2020 gezeigt, dass das Gesetz dort, wo es tat-sächlich umgesetzt wird, funktioniert.  Ebenso belegen die Ergebnisse der Evaluation in Norwegen, dass die Einführung des Nordischen Modells zu einer Schwächung des Marktes, einem Rückgang der Nachfrage, einer Verringerung des Menschenhandels und einer Reduzierung der Anwerbung geführt hat. 


    Fazit


    Prostitution ist in Deutschland eine lukrative Einkommensquelle für die Organisierte Kriminalität und andere Bereiche der Schattenwirtschaft, insbesondere für den Menschenhandel. Prostitution befördert die alltägliche physische, psychische und tödliche Gewalt gegen Frauen. Das Bündnis Nordisches Modell ist uneingeschränkt solidarisch mit den Frauen in der Prostitution, was es ablehnt, ist das System Prostitution. Wir fordern kein Verbot von Prostitution (gerne und oft missverstanden), sondern die generelle Freier-Bestrafung. Frauen sind in Deutschland vielleicht gesetzlich gleich-berechtigt, aber noch lange nicht gleichgestellt. Die liberalisierte Prostitution stellt ein Gleich-stellungshindernis der Geschlechter dar. Prostitution betrifft alle Frauen!





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